Obwohl Schulkinder normalerweise ziemlich genau wissen, auf welchem Notenschnitt sie stehen, sind sie an Zeugnis-Tagen fast alle unglaublich aufgeregt. Zeugnisse sind etwas Besonderes. Man liest schwarz auf weiß wie „gut“ man in der Schule ist, kann sich vergleichen und oftmals gibt es von Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten für gute Noten auch noch eine Belohnung.
In der vierten Klasse entscheidet sich mit dem Übertrittszeugnis sogar die weitere Schullaufbahn.
Ich möchte heute nicht über Sinn und Unsinn von Zeugnissen oder der bayerischen Übertrittspraxis schreiben. Hier könnte man lange diskutieren und abwägen … aber ich alleine habe darauf sowieso keinen Einfluss. Worauf ich aber sehr wohl einen Einfluss habe ist, wie die Kinder den Zeugnis-Tag wahrnehmen und was sie, außer den Noten, mit nach Hause nehmen.
Es gibt viele Möglichkeiten, um den Kindern entweder zu helfen, das Zeugnis besser zu verstehen oder den Zeugnis-Tag angenehm zu erleben.
Meine Kollegin z.B. schreibt in der ersten und zweiten Klasse neben den offiziellen Zeugnissen für jede Schülerin und jeden Schüler ein Schülerzeugnis, in dem sie in kindgerechten Worten beschreibt, was das jeweilige Kind schon gut kann und woran es noch arbeiten sollte.
Ein Zeugnis für die Lehrerin
Letztes Schuljahr durften meine Drittklässler am Tag der Zwischenzeugnisse auch ein Zeugnis für mich ausstellen, in dem sie meinen Unterricht und mein Verhalten als Lehrerin bewerteten. Die Kinder hatten großen Spaß und die meisten saßen eifrig grübelnd an ihren Plätzen, um auch wirklich die richtigen Noten für mich zu finden. Sie waren still beschäftigt und konnten am eigenen Leib erfahren, dass es nicht immer einfach ist jemanden zu bewerten.
Und ich als Lehrerin bekam eine interessante Rückmeldung darüber, wie meine Schüler meinen Unterricht erleben. Mit dem Ergebnis muss man dann natürlich auch umgehen können ;-) Die Kinder durften übrigens selbst entscheiden, ob sie das Zeugnis anonym schreiben.
Komplimente von der Klasse
Für das Jahreszeugnis der dritten Klasse hatte ich mir etwas Neues ausgedacht: Die Kinder bekamen im Vorfeld die Aufgabe, auf kleinen Zetteln zu möglichst vielen Kindern ein Kompliment oder etwas, was dieses Kind besonders gut kann, anonym aufzuschreiben. Ich sortierte dann die Abschnitte und heftete sie zusammen, so dass ich für jedes Kind ein Heftchen mit schönen Rückmeldungen der Klassenkameraden hatte, das ich den Kindern zusammen mit ihrem Zeugnis austeilen konnte.
Ein Kompliment zum Zeugnis: "Du bist viel mehr als nur dein Notendurchschnitt"
Diese Woche gab es nun in der vierten Klasse die lange erwarteten Übertrittszeugnisse. In der vierten Klasse stehen die Kinder zum Teil unter einem enormen Druck. Man hat den Eindruck, alles dreht sich nur noch um Noten und Klassenarbeiten. Inspiriert durch einen englischsprachigen Brief, über den ich im Internet vor einiger Zeit gestolpert bin, schrieb ich den Kindern auch einen Brief. Ich wollte ihnen ins Gedächtnis rufen, dass es nicht nur der Notendurchschnitt ist, der sie ausmacht. Leider kam die Message des Briefes nicht bei allen Eltern an ... Am Nachmittag nach der Zeugnisausgabe hatte ich direkt zwei E-Mails von Eltern, die sich über eine Note im Zeugnis ihres Kindes beschweren wollten. Wohlgemerkt, es handelte sich um Kinder, die ich im Zeugnis explizit gelobt hatte und mit einem Notenschnitt für den Besuch eines Gymnasiums. Schade ... man erreicht nie alle. Aber es lohnt sich trotzdem! Probiert es doch auch mal! Hier gibt's für euch zum Download das "Zeugnis für den/die Lehrer/in" und den "Brief an die Kinder".