Nicht nur in der Förderschule hat man mit Kindern zu tun, die Auffälligkeiten im Bereich der sozial-emotionalen Entwicklung zeigen. Auch in Regelschulklassen gibt es diese Schülerinnen und Schüler. In meiner Klasse an einer Förderschule umfassen diese Auffälligkeiten unter anderem psychische Störungen bis hin zu Selbstmordgedanken, hohes Aggressionspotenzial, Bindungsstörungen sowie besondere Schwierigkeiten im Bereich der Aufmerksamkeit. Mich beschäftigte deshalb zunehmend die Frage, wie sich das Sozial- und Arbeitsverhalten dieser Schüler verbessern und letztlich eine bessere Integration in die Klassengemeinschaft realisieren lässt. Daraus entstand die Idee, regelmäßige Reflexionen in den Unterricht zu integrieren, welche die Kinder zum Nachdenken über das eigene Verhalten bringen sollen. Im Hinterkopf hoffte ich, dass Schüler durch die Selbstreflexion möglicherweise von sich aus den Wunsch ableiten, an sich arbeiten zu wollen.
Integration der Selbstreflexion in den Unterrichtsalltag
Seit diesem Schuljahr beende ich jede Unterrichtswoche stets mit einer Selbstreflexionsrunde, in der die Schülerinnen und Schüler:
- über ihr Verhalten nachdenken können und sollen,
- Konflikte ansprechen können,
- „loswerden“ können, was sie beschäftigt,
- überlegen, was in der Woche gut geklappt hat bzw. was sie besser machen können,
- jemandem ein Lob aussprechen können etc.
Unterschiedliche Formen der Selbstreflexion
Bewährt hat sich, verschiedene Methoden zur Selbstreflexion im Wechsel einzusetzen, von denen ich eine Auswahl näher vorstellen möchte:
- Meinungsbarometer: Lehrkraft nennt einen Satz, wie z. B. „Diese Woche habe ich meine Hausaufgaben erledigt“. Die Schülerinnen und Schüler positionieren sich anschließend auf dem „Meinungsbarometer“, einer mit Tesa-Krepp auf dem Boden befestigte Linie zwischen 0% und 100%.
- Reflexionskärtchen: Jedes Kind zieht eine Karte aus einem Säckchen und liest vor. Darauf stehen Sätze wie „in dieser Woche gab es einen Konflikt, von dem ich berichten möchte“. Die Regel ist: Jeder, der etwas dazu sagen möchte steht auf, alle anderen bleiben sitzen. Es folgt eine Runde, in der jeder, der steht, etwas zur Vorgabe passendes loswerden kann.
- Reflexion im Kreis: Ein Kind stellt sich in die Mitte und formuliert einen Satz zu seinem Verhalten der Woche, z. B.: „in dieser Woche bin ich immer pünktlich zum Unterricht erschienen“. Alle Schüler, die ebenfalls der Meinung sind, dass sie immer pünktlich waren, stehen auf; solche, die teilweise der Meinung sind setzen sich hin; Schüler, die anderer Meinung sind, hocken sich auf den Boden.
- Satzanfänge: Auf einem Tisch liegen unterschiedliche Satzanfänge auf Papierstreifen bereit, wie z. B. „in dieser Woche bin ich zufrieden mit…“. Kinder machen einen Rundgang durch den Raum, wählen drei Streifen aus und vollenden die Sätze. Anschließend werden diese im Sitzkreis verlesen und evtl. besprochen.
- Fragebogen: Die Schülerinnen und Schüler erhalten Fragebogen mit Aussagen zum Sozial- und Arbeitsverhalten, wie z. B. „Ich bin freundlich zu meinen Mitschülern“. Nun kreuzen sie an, ob die Aussage „immer“, „meistens“, „ab und zu“, „selten“ oder „nie“ zutraf. Anschließend kann jeder im Sitzkreis zwei Sachen nennen, die diese Woche positiv waren.
Positive Erfahrungen durch Selbstreflexion
Mein Fazit nach viermonatigem Einsatz: Meine Schülerinnen und Schüler reflektieren ihr Verhalten in der Regel ehrlich, verantwortungsbewusst und sehr kritisch. Die Erfahrung zeigt, dass auch Schulkinder, die den Reflexionsrunden zunächst nicht sehr offen gegenüberstanden, von den anderen „mitgerissen“ werden. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass in diesen Runden auch viel Positives „sichtbar“ wird und sich die Kinder ihrer Fortschritte und Erfolge ganz anders bewusst werden. Außerdem lernen sie, die Erfolge der anderen zu sehen und zu würdigen – anstatt ihnen neidisch oder missgünstig gegenüberzustehen.
Da wir die Stunde immer freitags durchführen, gehen die Kinder entspannter ins Wochenende als vorher. Sie können zum Wochenabschluss nochmal alles loswerden und ansprechen, was ihnen wichtig ist; bei Bedarf können vorhandene Konflikte geklärt werden. Sehr schön zu beobachten ist, dass die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Zeit automatisch den Willen entwickeln, an sich arbeiten zu wollen und jede Woche als neue Chance sehen, dies umzusetzen.