Nach den Sommerferien warten auf Schülerinnen und Schüler neue Herausforderungen – nicht nur wegen des Lernstoffes, sondern auch wegen neuer Gruppenzugehörigkeiten. Für viele Kindern werden zu diesem Zeitpunkt die „Karten neu gemischt“: Aus Kindergartenkindern werden auf einmal Schulkinder, die meistens mit anderen Kindern nun eine Klasse bilden und als neue Gruppe zusammenwachsen müssen. Auch in fünften Klassen wiederholt sich das Suchen nach Verbündeten. Im besten Fall werden gleich am ersten Tag neue Bande geknüpft.
Eine Mischung aus Neugier und Unsicherheit begleitet viele erste und auch fünfte Klassen nach den Sommerferien während der ersten Schulwochen. Neben wem werde ich sitzen? Finde ich Freunde oder bleibe ich ganz allein? Fragen, die vielleicht nicht offen gestellt werden und trotzdem viele Schulstarter beschäftigt.
Gruppenbildung – Was Lehrkräfte tun können
Auch wir Lehrkräfte spüren diese Unsicherheit. Selbst wenn die eigene Schulzeit etwas zurückliegt, bleiben solche Momente nicht unvergessen. Doch nun stehen wir auf der anderen Seite. Für uns geht es nicht darum Freunde zu finden, sondern eine gute Klassengemeinschaft zu ermöglichen. Eine Gruppe, die gut miteinander kooperiert und zu einem arbeitsfähigen Team wird, damit das Lernen Spaß macht.
Manchmal ist das gar nicht so einfach – insbesondere dann nicht, wenn die Ellenbogen weit ausgefahren sind und sich jeder selbst der Nächste ist. Vertrauensübungen sind dafür ganz hilfreich.
Blind vertrauen
Im letzten Jahr bin ich mit einer ersten Klasse gestartet und habe neben verschiedenen Kennenlernspielen zu mehreren Gelegenheiten Vertrauensübungen im Unterricht durchgeführt. Spielerische Varianten kommen immer gut, denn die jungen Erstklässler und Erstklässlerinnen müssen auch erstmal in der Schule „ankommen“.
Im Sportunterricht ging es daher in der ersten Zeit um die Orientierung in der Turnhalle. Das ließ sich gut mit einer „Blindenführung“ kombinieren. Dazu trugen fast alle Kinder eine Schlafmaske und fassten sich wie bei einer Polonaise auf die Schulter. Nur der „Kopf“ der Schlange hatte die Augen nicht verbunden und führte die Kinder sicher durch die Halle. Der Schwierigkeitsgrad stieg durch einen kleinen Hindernisparcours. „Hab Vertrauen und lass dich leiten“ – eine Probe aufs Exempel.
Körperkontakt spielerisch herstellen
Für gegenseitiges Vertrauen ist Körperkontakt sehr wichtig. Zu oft habe ich erlebt, dass sich Kinder auch untereinander ausgrenzen: „Neben XY möchte ich nicht sitzen“ oder „Ich mag XY nicht anfassen“. Natürlich gibt es unterschiedliche Begründungen, doch die meisten lassen sich im Handumdrehen aus der Welt schaffen.
Auch für solche Fälle habe ich neben einer 14-tägig wechselnden Sitzordnung einen spielerischen Plan: Im Klassenraum selbst haben wir „U-Boote tauchen“ gespielt. Das lässt sich immer gut zum Ende einer intensiven Lernsitzung durchführen. Alle Kinder liegen dazu mit dem Kopf auf dem Tisch, strecken eine Faust mit aufgestelltem Daumen nach oben und warten darauf, dass ein Daumen gedrückt wird. Das kleine Ratespiel „Wer hat mein U-Boot getaucht?“ ist sehr beliebt.
Ähnlich schnell verfliegt die Berührungsangst beim Spiel „Fahrstuhl zur Massagepraxis“. Dazu stellen sich Sitznachbarn einander gegenüber und schauen sich an. Gemeinsam gehen sie in die Hocke und „fahren“ vier – fünf Stockwerke hinauf in eine Massagepraxis. Dabei erheben sie sich schrittweise. Oben angekommen werden imaginäre Türen aufgeschoben, die Schüler und Schülerinnen gehen einen Schritt aufeinander zu und „massieren/reiben“ sich abwechselnd die Schultern. Gemeinsam fahren sie den Fahrstuhl die entsprechenden Stockwerke wieder hinunter. Als Spiel verpackt, fördere ich damit nicht nur den Körperkontakt, sondern lockere durch die eingebauten Bewegungen den Unterricht nach einer intensiven Lernzeit etwas auf.
Kooperationsspiele
Doch allein durch Vertrauensübungen, Kennenlernspiele oder Unterrichtsthemen wie „soziales Miteinander“ lässt sich nicht immer ein gutes Miteinander herleiten. Gerade Lerngruppen mit charakterstarken Kindern, die über ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit verfügen, benötigen weitere Inputs. Immerhin wünsche ich mir als Lehrkraft eine Gruppe, die in verschiedenen Varianten gut miteinander arbeitet und keine Einzelkämpfer hervorbringt.
Spiele, die Sieger und Verlierer hervorbringen sind daher eigentlich ungeeignet, dennoch liegt es in der Natur der Sache. Einen guten Mittelweg zu finden, ist nicht immer leicht. Auch hierbei variiere ich durch die Zusammenstellung der Gruppen: Mal darf es der beste Freund/die beste Freundin sein, mal arbeiten Banknachbarn gemeinsam oder aber „Kommissar Zufall“ entscheidet. Das Motto ist dabei aber stets: Zusammenarbeiten – gemeinsam kommen wir zum Ziel!
Ob Drei-Bein-Lauf, Chinesische Mauer, Kettenfangen, Tauziehen oder Menschen-Domino, alles geht nur mit guter Teamarbeit. Genau das wird in meiner Klasse reflektiert, denn nicht nur auf die Durchführung kommt es an, sondern auch auf Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit und eben nicht ums Siegen oder Verlieren!
Stärkung des Einzelnen
Bevor das Wir-Gefühl seinen Höhepunkt erreicht, ist mir persönlich auch immer die Stärkung des Einzelnen wichtig. In fächerübergreifenden Zusammenhängen spreche ich mit meiner Klasse gern über Gefühle. Für viele Kinder ist das ein eher abstraktes Thema, dem ich aber mit dem Bilderbuch „Heute bin ich“ (Mies van Hout) recht anschaulich begegnen kann. Die dort abgebildeten Fische sehen nicht nur spannend aus, sondern laden zum Erzählen, zum Gestikulieren und natürlich auch zur eigenen künstlerischen Auseinandersetzung ein.
Die Fragen „Wie fühle ich mich?“, „Was macht mich traurig oder glücklich?“ und „Wie sieht jemand aus, der ein bestimmtes Gefühl in sich trägt?“ sind spannende Themen, zu denen die Kinder sehr mitteilsam sind. Wir gehen dabei aufeinander zu, offenbaren uns und erwerben Schritt für Schritt Kompetenzen zur Empathiefähigkeit.
Abgerundet wird dies übrigens an jedem Geburtstag eines Kindes, denn neben anderen wertschätzenden Geburtstagsritualen habe ich die „warme Dusche“ etabliert.
Wir sind ein Team!
Wie schnell sagt man diese Floskel und doch wird nicht immer ernsthaft darüber nachgedacht. Um diesem Motto auch regelmäßig gerecht zu werden, lasse ich mir regelmäßig besondere Lerninhalte einfallen, die nur durch Teamarbeit der ganzen Lerngruppe zu etwas Großartigem werden.
In den acht Wochen zwischen Sommer- und Herbstferien gab es dazu bislang zwei Gelegenheiten: Im Sportunterricht haben wir zu einer modernen Musik einen Klassentanz erarbeitet. Als Aufwärmung getarnt, kam der AHA-Effekt durch die Wirkung im Kollektiv. Kinder, die krankheitsbedingt zuschauen mussten, kamen allein durch die Wirkung annähernder Synchronität ins Staunen und meldeten das an die Gruppe zurück.
Eine andere Gelegenheit ergab sich durch den herannahenden Herbst. Um schönes Herbstwetter für Unterricht vor der Schule nutzen zu können, plante ich eine Stunde zum Thema „Landart“. Dazu habe ich Mitbringaufgaben gestellt. Übers Wochenende sammelten die Kinder „Herbstdinge“ und brachten sie in die Schule. Jedes für sich war interessant, doch erst in Zusammenstellung der einzelnen Objekte zu einem großen Bodenbild auf dem Rasen vor der Schule, ergab sich für jede Kleinigkeit ein größerer Zusammenhang. Es war einfach wunderbar, wie sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig motivierten, anleiteten und sich wie ein Bienenschwarm an die Arbeit machte.
„Wir sind ein Team“ ist im Moment wirklich nicht nur dahingesagt. Doch meine Erfahrung zeigt auch, dass es immerwährende Arbeit ist, dies auch beizubehalten.