Über Lehrerinnen und Lehrer wird oft gesagt, dass sie glauben, alles besser zu wissen und alles zu können. Ein Klischee. Aber steckt nicht auch ein Körnchen Wahrheit darin? Es kommt auf die Perspektive an.
Wenn ich an meine erste Klasse denke, mit der ich im Sommer neu startete, wusste und konnte ich aus Sicht der Kinder anfangs alles besser. Ich wusste die Regeln und habe sie vorgegeben, an die es sich zu halten galt und immernoch gilt. Aber auch zu welchem Freiarbeitsmaterial, wie Bücher oder Spiele, die Kinder selbstständig Zugriff haben bzw. was sie erst nach Herausgabe von mir benutzen dürfen. Der Ordnungsrahmen muss sein, die Struktur, damit ein Chaos vermieden wird.
Ich konnte das Datum an die Tafel schreiben und die Namen der Kinder lesen. Das ist schon mal sehr viel mehr, als ein Erstklässler in der Regel kann. Sehr schnell behaupten einzelne Kinder von sich „ich kann das schon“ und es bestätigt sich auch, dass sie es können. Aber auch Fragen wie „darf ich das Datum heute an die Tafel schreiben?“ oder „kann ich die Hefte austeilen?“ höre ich anfangs oft, muss dann aber auch genauso oft verneinend antworten, weil die Namen auf den Heften nicht für alle Kinder lesbar sind, nämlich immer dann, wenn die Eltern die Arbeitsmaterialien vor der Einschulung beschriftet haben.
Die Zügel locker lassen können…
Jeder Morgen fängt also damit an, dass ich im Flur vor der Klasse die Spinde aufschließe, das Datum ändere und die Hausgaben an die Tafel schreibe. Es sind Routineaufgaben, die schnell von der Hand gehen, oft lassen sie sich auch schon am Tag zuvor erledigen. Um die Motivation der Kinder zu nutzen und die Selbstständigkeit zu fördern, beginne ich immer schon recht früh, Aufgaben abzugeben. Es zeigt sich schnell, welches Kind Verantwortung übernehmen kann und Vorbildfunktionen für weitere Mitschülerinnen und Mitschüler hat.
…macht die Kinder stark….
Zuerst teile ich mir das Aufschließen der Spinde mit einem Kind. Mein Vorschlag ist, dass das jeweilige Kind die unteren Spinde aufschließt und ich die oberen. Es hat gleich zwei Effekte: Einerseits kann ich schnell eingreifen, wenn ein Schloss hakt und zum zweiten muss ich mich nicht so tief bücken. Schon nach wenigen Tagen klappt das Öffnen ohne mich und die Kinder fragen morgens nach dem Schlüssel für die Spinde. Ich ziehe mich immer weiter zurück und überlasse Aufgaben, die täglich zu bewältigen sind, den Kindern. Schließlich wird der Schlüssel selbstständig aus dem Schreibtisch genommen und auch wieder hineingelegt. Die Klasse hat mein Vertrauen und sie nimmt die Aufgaben ernst. Ich habe in meiner ganzen Lehrertätigkeit noch nicht erlebt, dass ein Kind mein Vertrauen missbraucht hat. Nun könnte man sagen, es sind ja auch nur Schrankschlüssel und keine persönlichen Dinge, aber auch daran lässt sich Selbstständigkeit lernen und Vertrauen beweisen. Es macht die Kinder stark.
Ein weiteres Beispiel ist das tägliche Ändern des Datums. Wir haben laminierte Karten, die mit einem Magneten versehen sind und an die Tafel gehängt werden. Die Zahlen und Monatsnamen liegen in einer Kiste bereit und auch diese Aufgabe kann schon bald ein Kind übernehmen. Hin und wieder kommt es zwar vor, dass das falsche Datum gegriffen wird, aber die Mitschülerinnen und Mitschüler beobachten jede Aufgabe der anderen sehr genau und protestieren sehr schnell, so dass korrigiert werde kann.
….und entlastet mich als Lehrperson
Schon bald nach der Einschulung werden es immer mehr Aufgaben, die ich abgeben kann und die mein Vertrauen beweisen und die Selbstständigkeit der Kinder fördern. Es sind die vielen Kleinigkeiten, die mich täglich entlasten können.
Ausblick
Für die nächste erste Klasse nehme ich mir vor, die Eltern auf dem ersten Elternabend zu bitten, die Namen ihrer Kinder in Großbuchstaben auf das jeweilige Heft, Buch oder Mappe zu schreiben, damit das Lesen der anderen Kindernamen schneller gelingt.