Unterrichtsstörungen gehören zum Schulalltag

Wir alle haben unsere Vorstellung von gutem Unterricht: Unterricht, der sich nach unseren persönlichen Maßstäben oder Hilbert Meyers Vorstellungen richtet und dadurch im Idealfall gut wird. Der Titel dieses Beitrags enthält neben dem Begriff Unterricht aber auch noch ein weiteres Wort, die von vielen verachtete, alle Pläne über den Haufen zu werfen vermögende Störung.
Schnell denken wir beim Thema Unterrichtsstörungen an von Schülerinnen und Schülern ausgehende Aktionen, die die Mitschüler vom individuellen Lernerfolg abbringen. Vor allem wird jedoch vom durchstrukturierten Unterricht abgelenkt, und unsere 45 oder 90 perfekt ausgestalteten Minuten erleiden Schaden. Doch, gibt es diese perfekten Minuten überhaupt?

Sind unvorhersehbare Dinge gleich Unterrichtsstörungen? 

Wir könnten uns von der Illusion freimachen, einen komplett störungsfreien Unterricht zu erleben. Gute Schulstunden können immer Unterrichtsstörungen enthalten. Diese müssen nicht immer vom Schüler ausgehen, sondern reichen vom Aufreißen der Tür durch ein Elternteil, um ein wichtiges Pausenbrot nachzureichen, über durch Schülerreaktionen verängstigte Bienen (andere Insekten bitte je nach gusto in den Gedankengang einbeziehen), die obligatorische Feueralarmübung, bis hin zum eigenen Kollegium, weil noch etwas wichtiges besprochen werden muss (während man den Schülern gerade fast das englische Wort für Hausarrest vermittelt hatte).

Viele Möglichkeiten, viele Störungen, aber dennoch Alltag. Ist der Begriff Störung damit nicht wirklich eine Brandmarkung alltäglicher Schulinhalte? Bei genauer Betrachtung finden jeden Tag während der Unterrichtszeit unvorhersehbare Dinge statt, diese können von außerhalb oder innerhalb des Klassenraums kommen. Sehen wir die Schule als verkleinertes Abbild der demokratischen Gesellschaft, die durch Konflikte, Diskussionen und Abweichungen von der Tagesordnung bestimmt ist, brauchen wir Störungen sogar. Parallel zum technischen Fortschritt nimmt auch die Geschwindigkeit der Veränderungen zu, jetzige Grundschüler werden diesem Umstand später eventuell noch stärker ausgesetzt sein als wir. Was es heutzutage also braucht, ist Flexibilität, und entsprechende flexible Lehrer.

Natürlich, Kinder brauchen Systematisierung, nur so lernen sie sich im Alltag zu strukturieren und können sich auf etwas Festes berufen und somit Sicherheit erlangen. Häufig reagiert das Lehrerherz verärgert über den Bruch mit der festen Stundenstruktur, wenn die Thematisierung eines Streits aus der zweiten großen Pause oder der aktuellen Stunde selbst in der Schülergunst höher liegt als das Leben und Sterben des Regenwurms. Doch die Klärung von Streits ist nicht nur Teil eines Satzes im Bereich Arbeits- und Sozialverhalten, es ist ein grundlegender Teil des Unterrichts. Ebenso das kurze, aber präzise Eingehen auf Reinrufe oder Provokationen, all dies sollte je nach Lerngruppe einen grundsätzlich eingeplanten Slot in unserer Planung erhalten. 

Wie können Lehrkräfte souverän mit Unterrichtsstörungen umgehen? (Foto: fotolia.com: New York, blueringmedia)

Die Kunst liegt darin, dem reingerufenen Kommentar nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Zwischenruf in der Sexualkundestunde wie „Hahaha, da steht Penis an der Figur!“ sollte als verständliche, logische Reaktion eines Viertklässlers interpretiert werden und von einer souverän reagierenden Lehrperson in seiner Wertigkeit nicht zu sehr ins Zentrum des Interesses gerückt werden. Lassen wir doch die Kinder gemeinsam lachen, gegebenenfalls lachen wir kurz mit, machen danach aber wie gehabt weiter. Andere Zwischenrufe können allerdings zu Missverständnissen führen, wenn z.B. jemand meint, das tiefgründige Gespräch über christliche Bräuche mit „Es gibt keinen Gott!“ kommentieren zu müssen, bedarf dies einer Klärung und im besten Falle genügend Flexibilität, dies zur Diskussion zu stellen.

Nebenbei sollte immer wieder auf das Einhalten der Gesprächsregeln hingewiesen werden. Aber auch hier gilt unbedingte Souveränität. Es spricht nichts dagegen, wiederholend störenden Schülerinnen und Schülern zu zeigen, dass man auch mal wütend werden kann, allerdings immer auf professioneller Basis und kontrolliert. Schimpfwörter sind also nicht erlaubt (auch wenn mancher vielleicht jetzt „Schade!“ in sich hineinbrummen wird.). Schließlich wollen wir unseren schwierigen Schülern nicht zeigen, dass wir Konflikte und Schwierigkeiten genau so klären, wie sie es tun.

Abschließend ein krasses Beispiel: Im Referendariat durfte ich einer Unterrichtsstunde eines angehenden Kollegen beiwohnen, die sämtliche hier genannten Unterrichtsstörungen und mir bis dato nicht bekannte enthielt. Fachlicher Unterricht fand per se nicht statt. Der Seminarleiter ging auf das bunte Treiben im Nachhinein ebenfalls souverän, kurz und knapp ein und merkte an: „Naja, ich komme dann wieder, wenn Sie die Klasse im Griff haben.“ So sollte es natürlich auch nicht laufen.

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