„Dann hau ich dir in die Fresse!“

Eigentlich war mein Schüler XY, bis auf wenige Ausnahmen, immer unauffällig. Im Unterricht machte er meist einen verschlafenen und lustlosen Eindruck. Dies sollte sich aber schlagartig ändern, als ich eines Tages aufgrund einer Erkrankung fehlte…

Was ist passiert?

In einer Vertretungsstunde machte meine Kollegin einen harmlosen Witz, den mein Schüler aber anscheinend nicht verstanden hat. Er fühlte sich angegriffen und sagte zu meiner Kollegin: „Dann hau ich dir in die Fresse!“. Nicht nur meine Kollegin, sondern auch alle anderen Schülerinnen und Schüler waren schockiert und sprachlos.

Mögliche Ursachen

Der Schüler XY stammt aus der so genannten Mittelschicht. Sein Vater arbeitet in der mittleren Führungsebene eines größeren Unternehmens, seine Mutter hat ein Studium abgebrochen und kümmert sich jetzt um die Kinder und führt den Haushalt. Außerdem ist sie in der Kirchengemeinde und im Elternbeirat stark engagiert. Insofern deutet zunächst einmal überhaupt nichts darauf hin, wie es zu so einer aggressiven Äußerung kommen konnte.

Bei mir war es noch nie zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. Allerdings, und das ist das, was ich eingangs kurz andeutete, gab es schon vorher die eine oder andere Situation, die diesen verbalen Gewaltausbruch erklärt.

Beispielsweise sollten sich die Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Schuljahres Klassenregeln überlegen. Hier fiel mir der Schüler XY zum ersten Mal auf. Er überlegte sich folgende Klassenregeln:

  • Kein Messer mitnehmen und den Lehrer töten
  • Kein Massenmörder sein
  • Nicht töten
  • Gemeinsam erarbeitete Klassenregeln können zu einem harmonischen Klassen- und Lernklima beitragen. (Foto: Ralph)
    Das sind die Klassenregeln, die sich mein Schüler überlegt hat. (Foto: Ralph)

Aus meiner Sicht zeigt dies sehr deutlich, in welcher „Welt“ dieser Junge lebt. Unter anderem beeinflusst von seinem vier Jahre älteren Bruder, scheint er sich in seiner Freizeit relativ viel mit (gewaltverherrlichenden) Videospielen und dem Internet zu beschäftigen. Dazu passt auch, dass er mir eines Tages ganz stolz erzählte, dass sein 12-jähriger Bruder Videospiele ab 18 Jahre spielt.

Auch wenn die Ursachen und Gründe nicht immer ganz so einfach und monokausaler Art sind, sind die Videospiele bzw. die Einflüsse der Medien und sozialen Netzwerke nicht zu unterschätzen. Aber natürlich gibt es noch viele weitere Einflussfaktoren.

Umfrage des VBE

Dass dieses Beispiel kein Einzelfall ist, zeigt die Forsa-Umfrage der Gewerkschaft VBE. Seit 2018 hat die Gewalt gegenüber Lehrern an allen Schulformen deutlich zugenommen.

Bei der Gewalt wird zwischen den folgenden Bereichen unterschieden:

  • Psychische Gewalt
  • Psychische Gewalt über das Internet
  • Körperliche Gewalt

60 Prozent der in Baden-Württemberg befragten Rektoren gaben an, dass es in den letzten fünf Jahren psychische Gewalt gegen Lehrer an ihrer Schule gegeben hat. Dazu gehören Beschimpfungen, Bedrohungen, Beleidigungen und Mobbing. Die Gewalt geht aber nicht nur von den Schülerinnen und Schülern, sondern auch von den Eltern aus.

Besonders auffällig bei dieser Forsa-Umfrage war aber die Tatsache, dass die körperliche Gewalt ausgerechnet in der Grundschule am größten ist! Die Ursache könnte beispielsweise darin liegen, dass die jüngeren Kinder ihre Emotionen nicht so gut kontrollieren können und sich oftmals nicht anders zu helfen wissen.

Wie reagiert man als Lehrer?

Nach einem gewalttätigen Angriff sind verschiedene Punkte wichtig:

  1. Natürlich muss das Fehlverhalten in der Klasse thematisiert werden.
  2. Selbstverständlich müssen aber auch die Eltern von dem Vorfall (und einer eventuellen Strafe) informiert werden. Aus nahe liegenden Gründen erzählen die allermeisten Schülerinnen und Schüler Zuhause nichts von dem Vorfall. Bei meinem Schüler war es übrigens auch so.
  3. Aber auch das Kollegium bzw. die Schulleitung muss darüber informiert werden.
    Beispielsweise im Rahmen einer Klassen- oder Gesamtlehrerkonferenz.
  4. Sofern vorhanden, muss aber auch die Schulsozialarbeit informiert bzw. involviert werden.

Eventuell muss aber auch das Schul- bzw. Jugendamt informiert werden.

Was kann man als Betroffener machen?

Rat bzw. Hilfe kann man sich als betroffener Lehrer beispielsweise bei den Schulpsychologischen Beratungsstellen, eventuell aber auch über die Schulämter oder auch an anderen Stellen, wie z. B. dem Kompetenzzentrum Schulpsychologie an der Universität Tübingen holen. Bei besonders schweren Fällen ist eine Anzeige bei der Polizei auf jeden Fall in Betracht zu ziehen.

Falls es an einer Schule, es muss sich dabei nicht unbedingt um eine so genannte „Brennpunktschule“ handeln, häufig zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern kommt, wäre aber auch zu überlegen, ob man ein Team aus Lehrern, Schulsozialarbeitern, Sozialpädagogen, Schulpsychologen usw. bildet, das sich mit diesem Problem intensiver beschäftigt.

Besonders wichtig ist, dass das Thema „Gewalt gegen Lehrer“ nicht tabuisiert wird, sondern an die Öffentlichkeit gelangt. Vor allem auch im Hinblick auf die steigenden Fallzahlen und die Tatsache, dass die eingangs erwähnte Forsa-Umfrage am Jahresanfang, also vor der weltweiten Pandemie, durchgeführt wurde. Die Fallzahlen werden sehr wahrscheinlich aufgrund der wochen- und monatelangen Schulschließungen und Beschränkungen in weiten Teilen des Lebens in Zukunft noch weiter zunehmen.

Kurzer Nachtrag

Gerade habe ich im Radio gehört, dass in Berlin ein 11-jähriger Grundschüler seiner Lehrerin mit einer Enthauptung gedroht hat. Hier zeigt sich nochmals sehr deutlich, inwieweit die Medien, auch ungewollt zum Problem (und leider auch zu Nachahmungstaten) beitragen können.

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