Im letzten Artikel habe ich euch von der Grundgestaltung des Klassenraums bei mir erzählt. Wir haben jetzt also ein Zimmer – vielleicht mit zentraler Mitte, vielleicht auch mit klassischer Ausrichtung zur Tafel. Und wo sitzen die Kinder? Vor einigen Jahren habe ich ein sehr spannendes Konzept getestet, von dem ich euch jetzt berichten möchte. Ausgangspunkt ist die Überlegung, wie denn ein Erwachsener einen Arbeitsplatz gestaltet. Denken wir an einen klassischen Bürotisch, stehen dort vielleicht Fotos der Liebsten oder ein Urlaubsbild. Nützliches wie Stifte, Marker, Lineal finden sich oft griffbereit in einem Behälter. Mancher mag eine Unterlage, manche lieber einen blanken, fast cleanen Tisch. Warum gestehen wir diese Individualität Erwachsenen ganz automatisch zu, Kinder sollen aber an fest reglementierten und immer gleichen Plätzen arbeiten?

Individuelle Arbeitsplätze ermöglichen

Ich habe also begonnen, mit den Kindern eigene „Büros“ einzurichten. Dazu gehört erst einmal das gemeinsame Überlegen: Was brauche ich an meinem Arbeitsplatz? Was stört mich? Was lenkt ab? Was macht mich glücklich und lässt mich konzentrierter arbeiten? Was motiviert mich? Diese Fragen solltet ihr gemeinsam mit den Kindern reflektieren und mögliche Präferenzen sammeln. Dabei ist es ein Prozess des Ausprobierens und steten Veränderns, denn manches Bild, das anfangs motivierend erscheint, lenkt vielleicht doch zu sehr ab. Oder der Platz wird zu vollgestellt und dadurch unpraktisch. Gesteht den Kindern aber genug Freiraum zu und vertraut darauf, dass sie sich einzuschätzen lernen – du als Lehrer/in begleitest dieses Lernen-lernen natürlich! 

 

Jedes Kind darf seinen Arbeitsplatz individuell gestalten. (Foto: stock.adobe.com / Asier)

Einzelplätze mit Blick zur Wand – ein Gewinn für die Arbeitsatmosphäre

Damit die Büros vor allem als Einzelarbeitsplatz genutzt werden können, stelle ich die Tische am liebsten einzeln (oder falls ihr Doppeltische habt, eben so) Richtung Wand. Die Schüler/innen sitzen also mit Blick Richtung Fenster / Wand / Tür und nicht zur Mitte oder zur Tafel. Das verringert die Versuchung des frontalen Unterrichtens und schränkt Ablenkungen ein. Deshalb ist es dafür auch notwendig, die Wände möglichst frei von Regalen zu halten (wie ich es im letzten Artikel beschrieben habe). Teilweise muss man vielleicht auch kreativ werden und z.B. Tische in den Raum stellen oder die Rückseite eines Regals als Stellplatz nutzen. Eurer Phantasie sind auch hier keine Grenzen gesetzt, solange sich alle wohl fühlen und gut arbeiten können. Dadurch entsteht ein ganz anderes Arbeiten. Einführungen oder Besprechungen finden im Sitzkreis statt und die Arbeitsphase gestalten die Kinder dann entweder an ihren Bürotischen oder, je nach Aufgabenstellung, auch in Partner- oder Gruppenarbeit. Es ist auch möglich, dass die Kinder andere in ihr Büro einladen, um dort gemeinsam zu lernen. Wenn alle Kinder mit Blick nach außen sitzen, sind manche vermeintlich eingespielten Szenarien nicht mehr so leicht umsetzbar. Häufig erreicht mich zum Beispiel die Frage nach Hefteinträgen. Ganz ehrlich – ich bin kein Fan von permanenten gleichschrittigen Hefteinträgen und habe sie fast vollkommen abgeschafft in meinem Unterricht. Aber sie sind durchaus machbar – dazu lasse ich entweder Tische drehen, oder die Kinder suchen sich zum Abschreiben einen anderen Platz (am liebsten den Boden). Das erfordert am Anfang ein wenig Umdenken und Geduld, aber auch dieses Prozedere spielt sich ein.

Selbstverantwortliches Lernen fördern

Wenn die Grundregeln gelernt und die Tische gestellt sind, geht es an das Einrichten – und das macht am meisten Spaß! Die Kinder dürfen nun von zuhause Gegenstände mitbringen, die sie motivieren, die ihren Arbeitsplatz strukturieren und die den Tisch zu „ihrem“ Tisch machen. Von Glitzerbechern über Familien-Strandbilder bis zum Glücksstein habe ich hier schon vieles gesehen. Natürlich ist der Platz nicht unendlich – aber ein bisschen findet sich immer (ich habe das sogar mit Dreiecks-Tischen gemacht). Die Gegenstände verbleiben dann auf Dauer am Tisch und werden nicht jeden Tag wieder mitgenommen. Sollten auch fremde Klassen das Zimmer nutzen, ist es unerlässlich, hier Regeln abzusprechen (z.B.: Die Gegenstände auf den Tischen gehören dir nicht, nutze sie bitte nicht. ) Die Schüler/innen entwickeln so einen ganz anderen Bezug zu ihrem Arbeitsplatz und damit auch zum Lernen. Sie übernehmen Verantwortung, schätzen das Zimmer neu wert und erkennen, dass es um sie als Individuen geht. Sie reflektieren immer wieder neu ihr eigenes Lernverhalten und bereiten sich selbst auf das eigenständigere Lernen in den kommenden Jahren vor. Als Lehrer/in habe ich den Vorteil, dass es klare Arbeitszonen gibt: Büro = konzentrierte Einzelarbeit (im Gegensatz zum Gruppentisch / Flur / Leseecke / Teppich oder Ähnlichem), ich kann vom Pult aus alle Kinder beobachten und gut unterstützen, da ich mich nicht durch Bänkereihen schlängeln muss. Zudem liebe ich das Raumgefühl, denn es entsteht ein wahrer Lernort, eine Möglichkeit zum Austausch, Rückzug, Vorankommen und kreativ werden. Viel Spaß beim Ausprobieren! Was zum individualisierten Arbeiten meiner Meinung nach noch an Flexibilität dazugehört, erkläre ich euch dann im nächsten Artikel.

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